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Revolution statt Revue. Zwölf-Punkte-Programm von Karlheinz Schmid zur Neuordnung im Kunstbetrieb

Karlheinz Schmid / 2012

Überall diese aus einem falsch interpretierten Toleranzbegriff heraus entwickelte Verhaltenheit, letztlich Gleichgültigkeit. Das vermeintliche Aufflammen von Anteilnahme, von Interesse an der Kunst und am Kunstbetrieb, ja, oft nichts weiter als ein vorübergehendes Phänomen. Ein bisschen Unterhaltung darf sein, die Künstler als Hofnarren wie einst, die Galeristen als willfährige Diener einer Gesellschaftsschicht, die ihre Villen und sich selbst mit Gegenwartskunst schmückt. Im Partygespräch bleiben, rechtzeitig wieder in die nächste Auktion geben, was gerade eben noch preisgünstig erworben wurde, weil man, clever, schlichtweg behauptet hat, ein weiteres Privatmuseum eröffnen zu wollen. Um Kapitalanlage geht’s, um persönliche Reputation mancher Leute, die sich Sammler nennen, aber eigentlich Jäger sind, Trophäenjäger. Wirkliche Auseinandersetzung mit Kunst? Meist Fehlanzeige. Und so nimmt überhand, was der Kunst dienen sollte, nämlich jene inzwischen marode Infrastruktur, die sich in einem zunehmenden Markt leicht austauschbarer Bilder verselbständigt hat.
Was bleibt, ist die Forderung, allemal der Wunschtraum, subversives Potenzial zu aktivieren, das allzu gut geschierte Kunstrevuetheater tüchtig aufzumischen, es revolutionär zu unterwandern. Denn der einst von Klaus Staeck editierte Sand fürs Getriebe ist zermahlen. Dieses Betriebskarussell dreht sich mit atemberaubender, alle Sinne tötender Geschwindigkeit, und weit und breit ist niemand zu sehen, der in der Lage wäre, die Bremse zu treten, das hochtourige Fahrgeschäft allein aus Sicherheitsgründen zu stoppen. Das dringend Handlungsbedarf auflösende Debakel beginnt bei Fragen einer falschen Besteuerung von Lichtkunst und endet keinesfalls dort, wo der 2010 aufgedeckte Kunstfälscherskandal um die Beltracchi-Bande bis heute zu keinerlei Konsequenzen im Gutachterwesen geführt hat, beinahe so, als habe man es verlernt, aus dem Schaden klug zu werden. Das ist der eigentliche Skandal am Skandal. Höchste Zeit also, mit einem naheliegenden Zwölf-Punkte-Programm etwas Juckpulver in Debatten zu streuen, die bislang keine sind, weil es um nichts oder nicht viel geht, weil kürzlich auch im Guggenheim Lab in Berlin mehr gebastelt, als gedacht wurde.
Erstens: Die überbordende Kunstproduktion muss reduziert werden. Natürlich kann jeder seinen persönlichen Bilderberg nach Gutdünken aufhäufen und Lager um Lager mit Relikten eigener Selbstverwirklichung füllen; aber warum soll für jedes mehr oder weniger gelungene Werk ein Käufer und Öffentlichkeit gefunden werden, warum laufend weitere Galerien eröffnen, sind doch heute schon genug qualitativ ungenügende Werke im Markt? Ergo: Die Zahl der Kunsthochschulen sinnvoll verringern, die Ausbildung strengeren Kriterien unterwerfen, um auch weniger Menschen in Arbeitslosigkeit und in die Armut zu treiben, was volkswirtschaftlich unverantwortlich ist.
Zweitens: Der seit Jahren in nahezu allen Bundesländern leidende, teils sogar abgeschaffte Kunst- und Musikunterricht an den Schulen muss vollumfänglich wieder aufgenommen und sogar verstärkt werden. Es kann nicht sein, dass eine Gesellschaft, die sich bei jeder passenden Gelegenheit als Land der Dichter und Denker vorstellt, dem Nachwuchs keine Chance gibt, sich kulturell zu bilden, etwas von jenen Energien zu inhalieren, die eben nur über die sinnliche Wahrnehmung und die anschließende intellektuelle Verarbeitung vermittelt werden.
Drittens: Insgesamt gilt es, die Ausbildungen zu verbessern. Mögen auch vereinzelt Bildungsangebote für angehende oder bereits tätige Galeristen, Kuratoren und Kritiker gemacht werden: Die gesamte Vermittlungsbrache ist unterbelichtet. Wie so oft: Ausnahmen bestätigen die Regel. Nicht zuletzt fehlen den meisten Museumsdirektoren, überwiegend Kunsthistoriker, die Voraussetzungen für ihre Führungsaufgabe, weil sie weder betriebswirtschaftliche noch sonstige Kenntnisse einbringen können, die über das rein Fachliche hinausgehen. Fortan sollte das Doppelstudium oder ein kombinierter Ausbildungsgang verpflichtend sein.
Viertens: Die Dominanz der Kuratoren ist unerträglich – zumal die Künstler selbst mittlerweile im Schatten dieser übermächtigen Ausstellungs- und Projektemacher stehen. Hier muss gegengesteuert werden. Kuratoren sind Dienstleister, die die Kommunikation zwischen den Produzenten und dem Publikum fördern sollen. Dass sie heutzutage meist selbst wie Künstler agieren führt beinahe automatisch dazu, dass sie, die Kuratoren, ihre „Vormund“-Stellung (lat. curator gleich Vormund) missbrauchen und mit Kunst das nicht aus der Kunst kommende illustrieren.
Fünftens: Vor allem in den Ländern und Kommunen müssten Politiker lernen, dass die Kultur keine Sparprogramme verträgt. Investition in die Zukunft, sollte die Devise lauten, wo so gerne über nicht ausreichende Besucherquoten, kostensparende Synergien und das Engagement seitens der Privatwirtschaft geredet wird. Die öffentliche Hand muss ihre Verantwortung deutlicher spüren. Selbstverpflichtung: Zehn Prozent des Gesamthaushalts für die Kultur!
Sechstens: Auch in Zeiten zunehmender Privatmuseen werden staatliche Institutionen gebaut oder wenigstens erweitert. Gut so. Was gar nicht so gut ist, sind die dann häufig offenen, zuvor wohl nicht kalkulierten Betriebskosten, die so manches Haus ins Abseits bringen. Weniger Ausstellungen, weniger Museumspädagogik, weniger Werbung – das kann keine Lösung sein.
Siebtens: Wo die Wirtschaft ihren Sponsoring-Beitrag leistet, wenn öffentliche kulturelle Institutionen finanzielle Unterstützung brauchen, müssen allgemein verbindliche Sp8ielregeln vorhanden sein. Transparenz lautet das Stichwort. Ein Kriterienkatalog, der überall anwendbar und einsehbar ist, verhindert dubiose Vereinbarungen, die zum verrat der Kunst und zur Desavouierung des Museums oder des Kunstvereins führen können.
Achtens: Im Zuge der anstehenden Mehrwertsteuer-Neuregelung nach Intervention der EU, die – nebenbei betrachtet – die Schwarzgeldmenge im Kunsthandel erhöhen wird, muss daran gedacht werden, dass die Lichtkunst und insbesondere die Fotografie bislang nach höchstrichterlichen Entscheidungen benachteiligt sind. Auch hier ist Nivellierung erforderlich.
Neuntens: Sämtliche Kunstwerke insbesondere der Klassischen Moderne, die in Auktionen laut Schätzpreis über 100 000 Euro bringen sollen, müssen von einem Gutachten begleitet werden, das nicht – wie bislang – von einem einzigen Kenner, oftmals den Werkverzeichnis-Verfasser, verantwortet wird. Vielmehr müssen Expertisen von einem Wissenschaftlerkreis erstellt werden, in dem sowohl Kunsthistoriker als auch Farb- und Materialanalysten vertreten sind, um Fälschungen frühzeitig entlarven zu können.
Zehntens: Die auch wegen der digitalen Verfügbarkeit im Internet grassierende Unsitte, das Urheberrecht zu missachten, muss energisch bekämpft werden. Der Schutz des geistigen Eigentums sollte nach wie vor unumgänglich sein. Jegliche Piraterie ist abzulehnen. Gegebenenfalls gibt es genug Lizenzmöglichkeiten, um Werke zu veröffentlichen oder anders zu verwerten.
Elftens: Kunstkritik ist Kunstkritik und damit unabhängig. Wer als Verleger dagegen lieber Public Relations betreibt, also seine Anzeigenkunden mit Werbetexten bedient oder sogar Pressemitteilungen der Veranstalter veröffentlicht, sollte fairerweise seine Leser schon auf Seite informieren. Verbraucherschutz quasi.
Zwölftens: Schafft die Kunstpreise ab! Lieber einen Fonds zur kollektiven Nachwuchsförderung nach dem Kunststudium gründen (berufliches Startgeld für alle Absolventen in gleicher Höhe), in den alle einzahlen, die bislang solche Auszeichnungen vergeben haben.

Wiederabdruck
Dieser Text erschien in der KUNSTZEITUNG, September 2012, S. 13–14.

[Dieser Text findet sich im Reader Nr. 1 auf S. 501.]

[Es sind keine weiteren Materialien zu diesem Beitrag hinterlegt.]

Karlheinz Schmid

(*1953), studierte Malerei und Kunsttheorie, bevor er für viele große Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum als Redakteur oder Autor tätig wurde. Obendrein arbeitete Karlheinz Schmid für Rundfunk und Fernsehen und übernahm diverse Lehrtätigkeiten, beispielsweise eine Dozentur an der Universität in Lüneburg und eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Vor über 20 Jahren gründete er mit seiner Partnerin Gabriele Lindinger das Unternehmen Lindinger + Schmid (KUNSTZEITUNG und KUNSTJAHR sowie Büro für Kunst und Öffentlichkeit). In diesem Verlag erscheint auch sein Branchenbrief für die Kunstszene, der Informationsdienst KUNST. Web: http://www.lindinger-schmid.de/

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Beltracchi, Wolfgang  ·  Schmid, Karlheinz  ·  Staeck, Klaus