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Take the money and run – but choose your direction

Rachel Mader / 2013

Der in jüngeren Jahren viel beschworene Siegeszug der ökonomischen Logik hat – wen wundert’s – auch die Kunst erreicht. Zahlreich in der Folge die Kritiker, die entlang unzähliger Beispiele nachwiesen, dass der neue Mammon Geld Kunst und Künstler samt und sonders nicht nur dominiert, sondern hehre Werte wie die künstlerische Autonomie und die nur darin richtig gedeihende kritische Transzendenz der künstlerischen Produktion radikal und grundlegend zu gefährden vermag. Die Autorin Chin-tao Wu etwa belegt in ihrer Studie ‚Privatising Culture. Corporate Art Intervention since the 1980s‘ (2002) faktenreich, wie sich der gesamte Kulturbetrieb im Zuge des Neoliberalismus zu einem von Privatiers und Unternehmen gesteuerten System verwandelte. Geschossen wird dabei auf die üblichen Verdächtigen. So etwa auf den für den Wahlkampf von Thatcher verantwortlichen Werbemogul Charles Saatchi, der mit seinen offensiven Ankäufen und Wiederverkäufen von jungen britischen Künstlern Kunst nicht nur zum Spekulationsobjekt degradierte, sondern maßgeblich zur Herausbildung des Labels der Young British Artists beigetragen hat. Oder auf das Unternehmen Guggenheim, das bereits seit einigen Jahren mittels des Franchise-Prinzips eine kontinuierliche und strikt ökonomisch motivierte Expansionsstrategie verfolgt: auf Guggenheim New York folgten Zweigstellen in Venedig, Bilbao, Berlin. Und jüngst sorgen die Arbeitsbedingungen beim Aufbau einer erneut grandiosen architektonischen Hülle in Abu Dhabi für Furore, weil Angestellte in ortsüblicher Weise schlecht bezahlt und behandelt worden sind. Auch auf die zunehmend anmaßenden Ansprüche seitens der Sponsoren hinsichtlich ihrer Rolle – das zeigt sich etwa in der offensiven Selbstinszenierung von Sponsoren an Museumswänden (vgl. die UBS in der Tate Modern) oder in Versuchen auch Inhalte mitzubestimmen – wird immer wieder verwiesen so wie auch die Ausrichtung kulturpolitischen Handelns auf Effektivität und Popularität ins Visier genommen und meist scharf verurteilt wird.
Die Horde der Kritiker ist groß, prominent besetzt und argumentiert trotz disziplinärer Breite in auffälliger Einhelligkeit – und hat sich damit meines Erachtens die Sache etwas zu einfach gemacht. Der Aufschrei darüber, dass der Faktor Geld (inklusive der dazugehörigen Logiken von Rentabilität, Marktorientierung etc.) in den letzten Jahren auch im Kunstsystem zu einem alles bestimmenden Parameter wurde, entbehrt nicht einer gewissen Naivität. Ein Blick auf die Genealogie des Verhältnisses von Kunst und Ökonomie zeigt, dass dies seit seines Bestehens in der frühen Neuzeit – seit der Emanzipation der Kunst vom Handwerk – ohne viel Aufhebens als enge Verbandelung akzeptiert wurde. Die Käuflichkeit von Kunst wurde erst im Zuge der Ausformulierung des Kunstfeldes als relativ autonomer Bereich (Bourdieu) als Problem formuliert – paradoxerweise (warum paradox?) fiel diese Umdeutung in denselben Zeitraum, in dem die veränderten Strukturen im Feld der Kunst Künstler zunehmend nötigten, ihr Schaffen auf den Kunstmarkt auszurichten.1 Zahlreiche sehr kluge und genaue Studien, die sich das Verhältnis von Kunst und Ökonomie in Bezug auf ein exemplarisches Setting (z. B. Svetlana Alper zu ‚Rembrandt als Unternehmer‘, 1988 oder David H. Solkins Analyse ‚Painting for Money‘, 1993) vorgenommen haben, zeigen auf, wie geschickt es Künstler, Händler und Käufer verstanden haben, künstlerische Ansprüche, Geschmack und ökonomische Notwendigkeit über Verhandlungen in Abgleich zu bringen. Erst die Vorstellung einer künstlerischen Autonomie destabilisierte diesen jahrhundertealten Handel und warf die Kunstschaffenden auf die künstlerische Selbstverwirklichung zurück. Nicht ausschließlich das Geld hat die Verhältnisse geändert, sondern ebenso der Diskurs.
Um es klar zu formulieren: natürlich hat das Geld oder vielmehr die Logik des Geldes in den letzten Jahren auch in der Kunst einen immer prominenteren Platz eingenommen. Das zeigt sich an plumpen Inszenierungen dieser Logik in Form von Künstler-Ratings, am nachhaltigen Erfolg von Zeitschriften wie dem Artinvestor (seit 2001) sowie an der enormen Steigerung des Umsatzes im Kunstmarkt oder auch im Bereich der Creative Industries. Allerdings: was dies genau zu bedeuten hat bzw. welche Konsequenzen diese Entwicklung auf den gesamten Kunstbetrieb hat, ist weitgehend unklar. Dies gerade auch deshalb, weil der Vormarsch des Ökonomischen im Feld der Kunst obzwar zu einer gewissen Dominanz dieser Thematik so doch ganz sicher nicht zu einer totalen Beherrschung des Feldes geführt hat. Diese Aussage meinerseits ist nicht nur eine Behauptung – wiewohl sie dies in gewisser Weise auch ist – sondern allem voran eine politische Forderung an all jene, die in diesen Debatten plötzlich und auf irritierend freimütige Weise dem Mammon Geld die Führungsposition überlassen. Dagegen meine ich: nein, Unternehmen haben die Kunstinstitutionen nicht übernommen, wie dies etwa von Chin-tao Wu behauptet wird. Denn zum einen gibt es nicht nur eine derart große Vielzahl in unterschiedlichster Weise finanzierter Institutionen, sodass diese Verallgemeinerung zwangsläufig als argumentativer Populismus bezeichnet werden muss. Und zum andern sind Institutionen in aller Regel ziemlich komplexe Konstruktionen, innerhalb derer die absolute Dominanz eines einzelnen Faktors über alle andern eher unwahrscheinlich ist – wenn sich auch das jeweils bestehende Gleichgewicht auf ungemütliche, ja gar bedrohliche Weise verschieben kann.
Meine Einwände in Bezug auf aktuelle Debatten zum Themenbereich Kunst und Ökonomie sind also sowohl politischer und damit grundlegender und ethischer Manier, als sie sich auch aus der Beobachtung heraus formulieren. In einem bereits seit drei Jahren laufenden Forschungsprojekt untersuche ich die Veränderungen des Kunstsystems am Beispiel ausgewählter Institutionen in London seit dem zweiten Weltkrieg.2 Ich schaue dabei also auf den Ort, an dem das Verhältnis von Kunst und Ökonomie spätestens seit der Ära Thatcher als je nach Standpunkt optimal effizient (von Thatcher und Co.) oder maximal problematisch (durch die Andern) bezeichnet wird. Und beide Positionen haben teilweise recht und nicht selten sogar gleichzeitig – das ist wohl Kennzeichen unserer Gegenwart. Jetzt stellt sich die Frage, was damit anzufangen bzw. wie darin zu agieren sei. Und genau dies hat mich beim Blick in einzelne Londoner Institutionen interessiert. Meiner Kritik an der Vorstellung der absoluten ökonomischen Dominanz folgend durchforstete ich Sitzungsprotokolle, Briefwechsel, Mission Statements, Jahresberichte, Presseerklärungen usw. auf der Suche nach den Mechanismen der Entscheidungsfindung und den zu Grunde liegenden Motiven. Geld war dabei immer wieder mal, aber kaum je ausschließlich das bestimmende Thema, mitunter Ausgangspunkt für Querelen und meist ein Aspekt unter vielen, wenn es um Organisation und inhaltliche Konzeption ging. Letzteres ist allerdings etwas weniger selbstverständlich als es sich zunächst anhört. Das britische Kunstsystem zeichnet sich durch bestimmte Eigenheiten aus, die gerade auch das Verhältnis von Kunst und Ökonomie betreffen und die bereits weit vor der Ära Thatcher dazu geführt haben, dass im Bereich der Kunst – sozusagen als Folge des Bedürfnisses nach innovativen Organisationsformen – unterschiedlichste Finanzierungsmodelle entwickelt und ausprobiert wurden. Dass dabei gerade auch das Geld von Privatpersonen eine zentrale Rolle spielte, hatte maßgeblich damit zu tun, dass die öffentliche Kunstförderung erst kurz nach dem zweiten Weltkrieg erste zögerliche Schritte unternahm. Privat-Public-Partnerships hat Thatcher also nicht erfunden, sondern nur zu Regierungszeiten rhetorisch zum politischen Dogma ernannt. Die meisten aktuellen Kunstinstitutionen – ihre Vielgestaltigkeit bezüglich inhaltlicher Ausrichtung, Vorgehen und Organisation ist und bleibt vorerst weltweit einmalig – weisen ausgesprochen ausdifferenzierte Finanzierungsmodelle auf. Direkte Abhängigkeiten zwischen Kunstschaffenden und Geldgebern sind in solchen Settings selten, dazwischen befinden sich Institutionen die gleichsam als Puffer wirken.
Auffallend und meines Erachtens entscheidend ist vielmehr die Frage, wie Geld von den Akteuren selbst verhandelt wird: wohlüberlegt, strategisch ausgerichtet und mit einem ausgeprägten Wissen um Macht und Hierarchien, die wirken können, wenn es um Geld geht. Konsequenz dieses Bewusstseins ist ein ausgesprochen ausdifferenziertes und präzises Handeln, das die vielfältigen Verbandelungen und Abhängigkeiten zum Geld bzw. zu ökonomischen Faktoren je nach Frage und Themenbereich sehr gezielt angeht und spezifische Lösungen sucht. In einem solchen Klima ist es dann beispielsweise auch möglich, dass eine Institution wie das Beaconsfield in Südlondon, das sich allem voran für performative experimentelle Praxen interessiert und gleichzeitig einen engen Austausch mit der lokal ansässigen Bevölkerung anstrebt, sich als Alternative zum globalisierten Kunstdiskurs versteht und kein Problem hat, im Rahmen ihres Programms produzierte Arbeiten zu verkaufen. Bereits in den 1990er Jahren hat sie Maßnahmen gegen prekäre Arbeitsbedingungen in den Betrieb eingeführt, im Restaurant werden selbstverständlich nur biologisch-fair produzierte Artikel verarbeitet. In sehr vielen Sitzungen wird über die moralischen Grenzen des Sponsorings debattiert sowie über programmatische Kompromisse, um die inhaltlich gebundenen Gelder des Arts Councils dennoch einfordern zu können. Es werden zahlreiche Kooperationsanfragen abgewogen, das Fund Raising an einen externen Berater ausgelagert und die strategisch gelungene Besetzung des Board of Trustees ausgeheckt. Begriffe wie die im deutschsprachigen Raum geprägte Selbstorganisation fassen solches Gebaren nur sehr bedingt, wenn auch das grundlegende Begehren nach Selbstbestimmung geteilt wird. Und genau da scheinen mir Taktiken wie die von Beaconsfield – und mit ihr diejenigen zahlreicher ähnlicher Organisationen, in den letzten Jahren zunehmend auch von Institutionen auf dem europäischen Festland – durchaus bedenkenswert: Ein genaues Abwägen, was, wann, mit wem und unter welchen Bedingungen gemacht wird, ist gerade angesichts der aktuell bestehenden und m.E. unumgänglichen Widersprüche unabdingbar. Ein aufgeregtes Reden über die komplette Infiltration des Geldes ins Feld der Kunst ist da wenig hilfreich. Zu überlegen, unter welchen Bedingungen Geld weiterhin selbstbestimmt eingesetzt werden kann, ist viel gewinnbringender – just choose your direction.

1.) Paradox ist diese Entwicklung vor allem auf der diskursiven Ebene: die Idee einer künstlerischen Autonomie ist mit der Abhängigkeit des Künstlers von schwer durchschaubaren Marktmechanismen schwierig vereinbar. Dies sind aber nur zwei von zahlreichen Merkmalen der Veränderung des Kunstbetriebes im 19. Jahrhundert, die innerhalb ausgesprochen komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse stattgefunden haben, die aber als die zwei zentralsten Momente für die künstlerische Produktion selbst bezeichnet werden können.
2.) Das Forschungsprojekt ‚Die Organisation zeitgenössischer Kunst. Zur Vorgeschichte des New Institutionalism am Beispiel Grossbritanniens‘ wird vom Schweizerischen Nationalfonds (Ambizione) von 2009-2014 gefördert. Die Ergebnisse werden in einer abschließenden Publikation veröffentlicht, erste Zwischenergebnisse wurden an diversen Tagungen und in unterschiedlichen Texten bereits vorgetragen.

[Dieser Text findet sich im Reader Nr. 1 auf S. 334.]

[Es sind keine weiteren Materialien zu diesem Beitrag hinterlegt.]

Rachel Mader

(*1969) ist Kunstwissenschaftlerin; seit September 2012 Leiterin Forschungsschwerpunkt ‚Kunst und Öffentlichkeit‘ Hochschule Luzern; 2009–2014 Projektleitung  ‚Die Organisation zeitgenössischer Kunst – Zur Vorgeschichte des New Institutionalism am Beispiel Grossbritanniens‘, dazu Tätigkeiten als Mentorin an Kunsthochschulen und als Kritikerin (springerin, camera austria, etc.); Organisation von Tagungen (Kulturpolitik, Zürich 2013; Kunstförderung, Lausanne 2013; Radikal ambivalent, zhdk Dez. 2011; Das Kunstprojekt, Bern April 2011) und Künstlergesprächen.

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