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Lieber Johannes,

Tobia Bezzola / 2012

hab Dank für die (An)frage: What’s next, was nach der Krise?

(Ist sie denn vorbei?). Es spielt eigentlich keine Rolle, denn was ich hier kurz antworten möchte, ist exakt, dass es für die Kunst ja egal ist, ob die Krise vorbei ist oder sich noch verschärft. Es wird einfach weitergehen. Polyzentrisch und polykontextural. Die Krisen des Marktes, des Betriebs, der Institutionen sind das eine. Und die kennen ja keine Krise, denn sie werden nicht zögern, auf Deine Frage prompt eine watchlist heisser Künstler für 2013 abzuliefern. Und vielleicht ist das die einzige Antwort. Heisst: Um nicht in die Falle zu laufen, sollte man sich vielleicht von der Vorstellung lösen, die kommende Kunst habe irgendetwas mit der Krise oder deren Überwindung zu tun.
Und damit von der Annahme, die in deiner Frage steckt, dass uns nämlich die Kunst in irgendeiner Weise etwas sagen könne über den Zustand des Politischen, des Ökonomischen, des Sozialen. Denn von einer seriösen Prognose der postkritischen Kunsttrends würde freilich gewünscht, dass sie diese in weltlaufantizipierenden Negationen oder Überbietungen der vorkritischen erblickt; gemäss den, sagen wir, Manifesten von 1913. Aber wer solch moderne Hoffnungen noch hat, muss wohl wirklich den postkritischen Zustand befürchten. Meltdown of the Modern. Eurokrise im umfassenden Sinn. Der moderne Apokalyptiker erblickt dann mit Grauen eine Welt, die bald aussehen wird wie die Place du Tertre am Montmartre, gesäumt von Ständen, wo man gemalten Trödel à la Pissarro, Monet, Renoir, Lautrec und Utrillo feil hält. Wird bald der Flohmarkt der zeitgenössischen Kunst überschwemmt werden von Millionen Touristen aus Asien und der ganzen Welt? Werden sie an den Trödelständen im Marais, in Williamsburg und im East End gefakte Konterreliefs und Ready mades, Concetti spaziali, Fettecken und Date Paintings, Naumansche Neons, Sehgalsche Zertifikate usf. als Souvenirs für ihre Wohnzimmerbuffets in Dubai, Shenyang oder Bangalore erwerben?
Aber eben. Um solche Panik zu vermeiden, sollte man nicht erwarten, dass das Nächste ein Fortschritt sein wird. Und auch nicht, dass die Trends der Kunst viel zu tun haben mit dem kulturellen oder sozialen Wandel der Welt. Man schläft dann besser. Dann da verdampft auch jede posthistoireistische Apokalyptik. (Schon in den späten 1960er Jahren erblickten manche verzweifelte Modernisten in Allem nur noch eine Farce, eine frivole Scharade des Modernismus.) Vielleicht schafft es also etwas Entspannung, wenn man solche Trendfragen eher so angeht, wie es die Korrespondentinnen der Modezeitschriften tun. Die neuesten Tendenzen waren auf den Laufstegen der Biennalen längst unterwegs. Etwas Hippie-Look, etwas 80er-Retro, technoiden Futurismus wird es auch geben, kürzere Röcke und etwas längere Jacketts.
herzliche Grüsse und das Beste fürs neue Jahr
Dein Tobia, Zürich, 31.12.2012

[Dieser Text findet sich im Reader Nr. 1 auf S. 67.]

[Es sind keine weiteren Materialien zu diesem Beitrag hinterlegt.]

Tobia Bezzola

(*1961 Bern/CH), lebt in Düsseldorf; Studium der Philosophie und Kunstgeschichte, 1995-2012 Kurator am Kunsthaus Zürich, seit 2013 Direktor des Museum Folkwang, Essen. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zur Kunst und Fotografie der klassischen Moderne und der Gegenwart.

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Bezzola, Tobia  ·  Monet, Claude  ·  Nauman, Bruce  ·  Pissarro, Camille  ·  Renoir, Pierre-Auguste  ·  Sehgal, Tino  ·  Toulouse-Lautrec, Henri de  ·  Utrillo, Maurice