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Sätze zur Handlungskunst

Jan Holtmann / 2013

0. Diese Sätze sind Bemerkungen zu Kunst, sie sind keine Konzeptkunst.

1. Handlungskunst folgt auf Objektkunst.

2. Objektkunst ist konsequent von Handlungskunst zu unterscheiden. Die Nicht-Unterscheidung zwischen Objektkunst und Handlungskunst führt zu vielen Irritationen, Problemen und verhindert Möglichkeiten der Kunst.

3. Kunst, die ununterscheidbar von sozialen, politischen oder Alltagspraktiken erscheint, fehlt eine klare Unterscheidung und Abgrenzung zur Objektkunst und muss zunächst ihren Begriff erarbeiten: Der Begriff der Handlungskunst ist noch nicht eingeführt.

4. Handlungskunst unterscheidet sich grundlegend von Objektkunst.

5. Handlungskünstler operieren in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen – Handlungskunst hat unmittelbar Teil an der Gesellschaft und ihren Aufgaben.

6. Vieles im Bereich der politischen, sozialen, Stadtentwicklungs- oder Interventionskunst ist als Objektkunst einzuordnen.

7. Wird Handlungskunst aus der Perspektive der Objektkunst betrachtet, erscheint sie irrelevant, quasi nicht vorhanden bzw. als keine Kunst.

8. Handlungskunst ist nicht zu verwechseln mit Theater, Performance, Tanz.

9. Handlungskunst sind keine Readyactions.

10. Die Differenzierung von Objektkunst und Handlungskunst klärt alte Fragen und Probleme der Kunst.

11. Handlungskunst zieht aus der Objektkunst Konsequenzen.

12. Handlungskunst ist mit Objektkunst unvereinbar. Bei der Objektkunst ist ihr praktischer Gebrauch verboten und ein praktischer Nutzen wird negiert.

13. Handlungskunst ist durchaus material- und objektlastig. Objekte haben in der Handlungskunst keinen Kunstwerkstatus, sie sind Mittel und Katalysatoren, ihre Präsentation in einer Kunstausstellung ist Quatsch.

14. Objektkunst lässt sich aus der Perspektive der Handlungskunst betrachten.

15. Objektkunst impliziert auch Handlungskunst. Nur sind die Handlungskunst-Aspekte im Bereich der Objektkunst unerkannt und unbearbeitet. Die Settings der Objektkunst können Material für Handlungskunst sein.

16. Handlungskunst ist kein Ritual.

17. In ihren Ursprüngen verweist Handlungskunst auf den Akt des Herstellens eines Kunstobjekts.

18. Handlungskunst gründet sich nicht auf Rezeption sondern auf einer Produktion.

19. Handlungskunst unterliegt dem Handeln und nicht dem Herstellen. Sie ist nur vermeintlich zielorientiert, vielmehr ist sie so interessiert wie offen.

20. Handlungskunst operiert im Bereich zwischen einer folgenlosen und indifferenten Objektkunst und sozialen bzw. gesellschaftlichen Praxis, die zum einen ohne Kunstanspruch operiert und zum andern kein Tradierungs-, Vermittlungs- oder mediales Potenzial hat.

21. Handlungskunst wirft neue Fragen und Aufgaben auf.

22. Handlungskunst stellt die Frage nach dem Leistungsort der Kunst.

23. Der Leistungsort der Handlungskunst liegt nur vermeintlich außerhalb der Kunst.

24. Auch wenn Kunst etwas in der Welt ändert, geht sie nicht im Leben auf, sondern bleibt Kunst bzw. hat ihren Leistungsort im Bereich der Kunst. Überschreitet die künstlerische Avantgarde die Grenzen der Kunst, ist dies eine Grenzüberschreitung jenseits der Kunst.

25. Praktiken und Projekte der Handlungskunst als
Kunst zu kennzeichnen, kann in einigen Fällen hinderlich sein.

26. Gemein bleiben bei der Handlungskunst das Problem und die Fragen der Vermittlung, des Wirkens und der Formen des Archivierens. Liegt die Vermittlung bei der Objektkunst in der Präsentationsform, so liegt sie bei der Handlungskunst in der gemeinsamen Arbeitsform.

27. Handlungskunst ist noch ohne eine eigene Archivform. Sie steht quer zum Bestand und macht einen neuen Gebrauch von ihm und stellt die Frage nach einem neuen Vergleichsraum der Kunst.

28. Handlungskunst stellt nicht die Frage nach einer ihr eigenen Rezeptionsform, sondern stellt das Verhältnis Produzent/Rezipient in Frage.

29. Die Möglichkeiten der Handlungskunst liegen zwischen den Möglichkeiten der Handelnden.

30. Das Kapital der Handlungskunst liegt nicht am Kunstmarkt.

31. Auch in der Ausbildung und Lehre folgt die Zeit der Handlungskunstausbildung auf die der Objektkunstausbildung.

32. Der Handlungskünstler hat weniger ein Konzept als die Fähigkeit, sein Handeln in Frage zu stellen und neu auszurichten. Er ist ein Navigator, kein Stratege, sondern Taktiker.

33. Beim Umgang mit dem Unverfügbaren zieht die Handlungskunst am anderen Ende des Taues.

34. Der Status der aktuellen Objektkunst-Produktion ist fragwürdig. Die Zukunft der Handlungskunst ist rosig.

35. Handlungskunst ist keine Konzeptkunst. Handlungskunst wirkt.

[Dieser Text findet sich im Reader Nr. 1 auf S. 258.]

[Es sind keine weiteren Materialien zu diesem Beitrag hinterlegt.]

Jan Holtmann

Künstler und Vermittler, arbeitet und forscht künstlerisch auf dem Gebiet der Präsentations-, Vermittlungs- und Arbeitsformen von Objekt- und Handlungskunst. Seit der Gründung der Galerie ohne Raum/noroomgallery (1997) steht die Frage des Verhältnisses von Kunst und ihrem Medium im Zentrum verschiedener Projekte. Zunehmend wird diese Beziehung durch Verortung oder Kooperation von Kunst in und mit anderen gesellschaftlichen Feldern  untersucht: Kurator der artgenda 2002 – Biennale im Baltischen Raum, Leitung des IBA Labor Kunst & Stadtentwicklung (2007–2010), Fernsehkurator der Konspirativen Küchenkonzerte, ZDF-Kultur (2011), Arbeitsform ROCHARDE (2012). Web: http://www.noroomgallery.com/

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Holtmann, Jan